Sommerzeit war als Placebo geplant

Die Abgeordneten hatten bereits bei ihrer Einführung keine hohen Erwartungen an den Energiespar-Effekt der Sommerzeit. Nur die Bevölkerung sollte an deren Sinn glauben.

(Dieser Beitrag bezieht sich auf die Einführung der Sommerzeit in Deutschland ab 1980. Als diese 1976 in Frankreich eingeführt wurde, war ihre energiepolitische Nutzlosigkeit noch nicht klar)

Vorfeld der Einführung der Sommerzeit

Vom angeblichen Nutzen der Sommerzeit zum Energiesparen war in der Bundestags-Debatte vom 22. Juni 1978 kaum die Rede.

Der Fürsprecher Broll (CDU) sagte ganz offen, dass es ihm bei der Sommerzeit weniger um Energieeinsparungen ging als um die Verbesserung der Lebensqualität: „Es geht darum, daß Menschen im Sommer am Abend etwas mehr Tageszeit für Dinge haben, die sie gern tun möchten.“ Anscheinend fand Broll es uneingeschränkt begrüßenswert, wenn die Menschen länger aktiv wären und weniger schlafen würden. Broll bezeichnete das Argument Kühe (oder Schichtarbeiter) könnten sich nur schwer an neue Zeiten gewöhnen als provinziell. 

Die Kritikerin Dr. Hartenstein (SPD) begründete zwar, warum sie zusätzlichen Energieverbrauch erwartete, rückte aber Beeinträchtigungen von Lebensqualität und Gesundheit in den Mittelpunkt. Wie beispielsweise mehr Verkehrslärm und gestörten Schlaf insbesondere bei Kranken, Kindern, Schichtarbeitern.     

Broll und Dr. Hartenstein erwarteten also beide, dass auf Grund der Sommerzeit weniger geschlafen würde. Doch nur Broll bewertete weniger Schlaf als erstrebenswert.

Probeweise Einführung der Sommerzeit

In den Jahren 1980 und 1981 wurde die Sommerzeit auf Probe eingeführt. Am 20.04.1982 berichtete die Bundesregierung in der Drucksache 09/1583 über die gewonnenen Erfahrungen. Dieser Bericht bestätigt die energiepolitische Sinnlosigkeit der Sommerzeit: „Die Bundesregierung hat bereits bei der Beantwortung einer Kleinen Anfrage im Bundestag im Oktober 1979 darauf hingewiesen, daß eine mit der Einführung der Sommerzeit verbundene direkte Energieeinsparung nur gering sein werde; von der Einführung der Sommerzeit gehe jedoch ein gewisser Signaleffekt aus, da sie in der Bevölkerung häufig mit Energieeinsparung verbunden werde (Drucksache 8/3294, Seiten 2/3). Soweit dies nach dem derzeitigen Kenntnisstand beurteilt werden kann, hat sich diese Einschätzung bestätigt.“ Mit anderen Worten: Die Regierung wollte die Sommerzeit, obwohl sie sich deren energiepolitischer Wirkungslosigkeit bewußt war – weil angeblich die Bevölkerung im Glauben war, die Sommerzeit mache energiepolitisch Sinn.

Unter den zahlreichen Nachteilen der Sommerzeit wurde in dem Bericht eine Zunahme der Verkehrstoten wie folgt abgeschätzt: „Nach einer Modellrechnung der Bundesanstalt für Straßenwesen hätte die Gesamtzahl der Unfälle mit schweren Folgen im Jahre 1980 — bei insgesamt rückläufiger Tendenz — ohne Sommerzeit möglicherweise um ca. 0,7 v. H. niedriger gelegen.“ Diese scheinbar kleine Zahl bedeutete allein im Jahr 1980 über 100 zusätzliche Verkehrstote durch zusätzlichen Straßenverkehr. Unfälle auf Grund von Übermüdung oder anderer Begleiterscheinungen der eigentlichen Zeitumstellung waren in dieser Abschätzung gar nicht enthalten.

Unter der Überschrift „4. Kosten der Umstellung: nicht feststellbar“ wird von dem enormen Aufwand berichtet, die die Zeitumstellung mit sich bringt, aber eine Abschätzung in Mark und Pfennig vermieden. Für die Kosten der eigentlichen Sommerzeit – also der Periode zwischen zwei Zeitumstellungen – war gar nicht erst eine Überschrift vorgesehen. Obwohl wie oben dargestellt ja angenommen wurde, dass die Sommerzeit 1980 über 100 Menschen das Leben kostete.

Dauerhafte Einführung der Sommerzeit

In der Beschlußempfehlung Drucksache 9/1646 wurde dann „4. Kosten der Umstellung: nicht feststellbar“ in „D. Kosten keine“ übersetzt. Welch krasser Übersetzungsfehler. Diese Beschlußempfehlung wurde am 14.05.1982 ohne Diskussion durch den Bundestag gewunken (Sitzungsprotokoll). Damit wurde der Testlauf der Sommerzeit für erfolgreich erklärt und die Zeitumstellungen auf Dauer etabliert.

Täuschung und Selbsttäuschung

Ob die Politik die Bevölkerung in den 1980ern vorsätzlich in einem Irrglauben beliess oder sogar aktiv täuschte, indem sie der Sommerzeit wahrheitswidrig einen energiepolitischen Nutzen zuschrieb ist schwer zu sagen.

Der Beitrag Einseitig gedreht im Spiegel 10/1977 erklärt recht ausführlich die Gründe, warum mit der Sommerzeit kaum Energie einzusparen ist. Seinerzeit war der geringe Nutzen der Sommerzeit in Teilen der Bevölkerung bekannt.

In der Folge Scheint es zu einer Selbsttäuschung der Politik gekommen zu sein. Mittlerweile sind auch Politiker davon überzeugt, die Sommerzeit sei ursprünglich eingeführt worden, um Energie zu sparen.

So schreibt der Europa-Poltiker Peter Liese (CDU) in einer Pressemitteilung vom 12.09.2018:

„Europa nimmt die Interessen seiner Bürger ernst. Viele Bürgerinnen und Bürger leiden unter der Zeitumstellung und die erwarteten Vorteile, wie Energieeinsparung, haben sich nicht eingestellt.“

So logisch diese Erzählung auch klingt ist sie doch falsch. Die Erwartungen an die Sommerzait lauteten: Einen schöneren Feierabend für einige und Schlafprobleme für andere. Einige zusätzliche Todesfälle, aber keine nennenswerte Energieeinsparung.

Ernüchterung in der Bevölkerung

„Nicht nur die Online-Konsultation, sondern viele repräsentative Meinungsumfragen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegen die Zeitumstellung ist und deswegen ist es richtig, dass die Politik handelt.“

Auch dies stammt aus oben genannter Pressemitteilung von Peter Liese. Ich kann dem nur zustimmen – und auch Lieses Folgerung:

„Ich hoffe, dass wir das Gesetzgebungsverfahren schnell abschließen, so dass ab 2019 auch wirklich nicht mehr an der Uhr gedreht wird. Dafür werde ich mich im Europäischen Parlament einsetzen“

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