Growian: miss­glückte Groß­wind­anlage der 1980er

An der Elbmündung wurde in den 1980ern mit zig Millionen Mark Fördergeldern eine Großwindanlage errichtet, die als Lehrstück für missglücktes Management von Innovationen taugt.

Unfähigkeit oder Vorsatz?

Der Growian zeigt, zu welch unsinnigen Ergebnissen Politik kommen kann, wenn sie – auf Ratgeber aus dem Bereich der Wissenschaft gestützt – wirtschaftliche Gesichtspunkte vernachlässigt. Er führt uns zu der noch immer aktuellen Frage, inwieweit Politiker aus Unfähigkeit Schaden anrichten und ab wann Vorsatz unterstellt werden muß – denn insbesondere Minister Hans Matthöfer stand in dem begründeten Verdacht, den Growian als Mogelpackung missbraucht oder ggf. regelrecht sabotiert zu haben.

Inklusive Betriebsphase, die kaum Strom aber viele Reparaturen erzeugte & Abriss belief sich die Gesamtrechnung für den Steuerzahler auf ein Mehrfaches der ursprünglich für Bau und Betrieb geplanten 38,5 Mio Mark. Doch die Hintergründe des Growian sind weit komplexer als die des 2019 anscheinend als Mogelpackung geplanten Klimapakets oder der als Placebo geplanten Sommerzeit. Deshalb scheinen mir für die Überschrift die Begriffe Placebo oder Mogelpackung nicht angemessen.

Der Beitrag Wertvolle Winde aus dem Spiegel 9/1979 gibt einen Blick in die Dimensionen des geplanten Windrads, das weit größer ausfallen sollte als vergleichbare Projekte in den USA oder Dänemark. Der Growian sollte über drei Jahre hinweg laufen und Elektrizität ins Versorgungsnetz einspeisen. Doch der Growian lief tatsächlich nur 420 Stunden, wie Jürgen Hauschildt und Jörn Pulczynski in ihrer Fallstudie Growian: Zielbildung für bedeutende Innovationsvorhaben erörtern, die das vierte Kapitel in dem Lehrbuch Management von Innovationen bildet. Auf 8 Seiten wird der geringe Grad an Zielerreichung auf Fehlentscheidungen im Projektverlauf zurückgeführt.

Der Spiegel 24/1985 befasst sich im Artikel Armer Riese mit technischen Hintergründen. Das große Eigengewicht der Konstruktion in Verbindung mit vielfältigen Bewegungen soll das Material aufs höchste beansprucht und zu Rissen geführt haben. Allein das an der Spitze des Turms drehbar angebrachte Maschinenhaus soll 340 Tonnen gewogen haben. Ebenfalls lesenswert: Wie die Windkraft-Testanlage „Growian“ scheiterte, ein Beitrag auf faz.net von 2013, also eine Rückschau mit 30 Jahren Abstand.

Politische Gründe für das Scheitern wurden nie offiziell geklärt. Die Opposition formulierte zwar schon 1981 in der kleinen Anfrage 09/1152 den Verdacht: „Mit einer derart komplexen und aufwendigen Technik wird bewußt demonstriert, daß Aufwand und Ertrag in keinem konkurrenzfähigen Verhältnis stehen. So beweist man, daß dafür kein Markt vorhanden ist.“

Die Bundesregierung stritt dies jedoch ab. Sie antwortete mit Drucksache 09/1294: „Mit dem Projekt GROWIAN wird zwar technisches Neuland betreten, ein ungerechtfertigt hohes technisches Risiko ist damit aber nicht verbunden. “ „Der Schritt zu den 50 m langen Blättern des GROWIAN wird […] als überschaubar angesehen.“

Presseberichte aus den 1980ern deuten darauf hin, dass maßgeblich Beteiligte Ziele verfolgten, die den offiziellen Projektzielen genau entgegengesetzt waren. Dafür sprechen jedenfalls die Artikel Die grünen Growiane (Die Welt Nr. 50, 28. Februar 1981) und Erfolg für das erste Aufwindkraftwerk der Welt (Die Welt Nr. 289 vom 13. Dezember 1982) Demnach sagte Hans Matthöfer, in dessen Zeit als Forschungsminister das Projekt beschlossen worden war: „Wir wissen, daß es uns nichts bringt. Aber wir machen es, um den Befürwortern der Windenergie zu beweisen, daß es nicht geht.“ Dabei handelte es sich um genau den Hans Matthöfer, der als Finanzminister zu den Adressaten der oben genannten kleinen Anfrage gehörte. Der also 1981 abgestritten hatte, dass die Regierung mit dem Growian bewußt demonstrieren wolle, dass Aufwand und Ertrag in keinem konkurrenzfähigen Verhältnis stehen.

Leider wird nicht deutlich, worauf sich Anatol Johansen bei folgender Aussage stützte: „Günther Klätte, Vorstandsmitglied des RWE, äußerte demnach auf einer Hauptversammlung des Unternehmens: ‚Wir brauchen Growian (große Windanlagen), um zu beweisen, daß es nicht geht‘ und erklärte, ‚daß Growian so etwas wie ein pädagogisches Modell sei, um Kernkraftgegner zum wahren Glauben zu bekehren‘.“

Obige Fotos sind Beleg meiner Bemühungen, diese im Wikipedia-Artikel Growian angeführten Zitate zu überprüfen. Ich habe die entsprechenden Artikel in der Hamburger Staatsbibliothek auf Mikrofilm einsehen und scannen können. Ich kann deshalb bestätigen: Ja, die von der Wikipedia angegebenen Zitate sind korrekt. Gerne würde ich die Artikel im Volltext zur Verfügung stellen – und die Welt genehmigt Bloggern wie mir den Abdruck für eine Bearbeitungsgebühr, die im Rahmen meiner Möglichkeiten bliebe – aber es steht nichts wirklich Interessantes drin. Anatol Johansen verrät uns nicht, ob er bei der entsprechenden Hauptversammlung der RWE anwesend war, oder ob er nur Hörensagen wiedergibt. Er ist laut Wikipedia 2013 verstorben und hat dieses Wissen wohl mit ins Grab genommen. Aber Anatol Johansen nahm offenbar nicht Anstoß daran, dass Günther Klätte und Hans Matthöfer Verantwortung für das Projekt GROWIAN trugen und somit eigentlich dafür verantwortlich waren für Erkenntnisgewinn zu sorgen, aber tatsächlich öffentlich ihren Wunsch zum Ausdruck brachten, ihre vorgefasste Meinung zu bestätigen. Wissenschaft geht anders, und das hätten Klätte und Matthöfer besser beachtet. Und Anatol Johansen hätte an diesem Punkt nachhaken sollen.

Bewertung

Hans Matthöfer und Günther Klätte haben das Projekt vielleicht nicht bewusst sabotiert, um ihre inoffiziellen Ziele zu erreichen. Es ist aber kaum vorstellbar, dass sie nicht unbewusst gegen die offiziellen Projektziele gearbeitet haben. Als Verfechter der Kernenergie waren sie befangen und kaum geeignet, das Projekt seriös voranzutreiben. Möglicherweise war sich Matthöfer seiner Interessenkonflikte nicht bewusst und hat das Projekt nicht bewusst als Mogelpackung angelegt. Trotzdem scheint „Mogelpackung“ den Vorgang angemessen zu beschreiben.

Die Sammlung der Artikel von Anatol Johansen auf Zeit.de legt nahe, dass Johansen sich durchaus mit Technik und mit wissenschaftlicher Methodik auskannte. Wenn er den Interessenkonflikt bei Klätte und Matthöfer nicht erkannte und nicht thematisierte, dann mag das an einer eigenen Voreingenommenheit gegen die Windkraft gelegen haben.

Matthöfer und Klätte konnten übrigens auch ihre inoffiziellen Ziele nicht erreichen. Sie konnten nicht zeigen, dass die Gewinnung von Windenergie unwirtschaftlich ist. Sie konnten nicht verhindern, dass sich große Windenergieanlagen etablieren. Es ist nicht bekannt, dass sie Kernkraftgegner in größerer Zahl zur Kernenergie bekehrt hätten. Dies lag jedoch wohl weniger an der Wirkungslosigkeit des Treibens dieser Atomkraft-Lobyisten, sondern an einem externen Ereignis, das die energiepolitischen Karten neu gemischt hat:

Tschernobyl

Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im April 1986 veranlasste die Energieversorger, Atomkraft und alternative Energien neu zu bewerten. Zuvor hatten die Energieversorger kaum Interesse an der Windkraft und kein Eigeninteresse am Growian gezeigt. „[Die] negative Einstellung der Energieversorgungsunternehmen zur Windenergiegewinnung hat sich erst nach dem Kernkraftunfall in Tschernobyl geändert“ , Seite 86. Deshalb hatte das Bundesministerium für Forschung und Technologie starken Druck ausüben müssen, um überhaupt Energieversorger in das Growian-Projekt einzubinden. Der Staat plante ursprünglich mit Fördergeldern in Höhe von 38,5 Millionen Mark. Die Energieversorger brachten dagegen nur insgesamt 100.000 Mark Stammkapital in die „Große Windenergieanlage Bau- und Betriebsgesellschaft mbH“ ein, und zwar HEW 49%, Schleswag 31% und RWE 20% , Seite 88.

Vertiefung

ungünstige technische Auslegung

Beim Growian erscheinen drei technische Aspekte besonders problematisch:

  • Der Generator (Asynchrongenerator mit direkter Netzeinspeisung, also ohne Frequenzumrichtung) war in den 1970ern ein überaltertes Auslaufmodell. Entsprechende Fachliteratur haben die Projektbeteiligten aber offenkundig ignoriert – und in der Literatur zum Growian wird sie nicht thematisiert.
  • Der Turm (dessen Auslegung dem angeblichen Erfordernis einer kranfreien Montage unterworfen wurde) Obwohl eine kranfreie Montage offensichtlich zu einer ungünstigen und unwirtschaftlichen Lösung führte wurden in den 1970er tatsächlich verfügbare Krane ignoriert. Die Literatur zum Growian übernimmt die Erzählung, in den 70ern wären keine geeigneten Krane verfügbar gewesen.
  • Die Rotor-Bauweise. Die Projekt-Beteiligten hatten zu Recht erkannt, dass der Rotor-Bauweise zentrale Bedeutung zukam und dass eine reine Composite-Bauweise erstrebenswert sei. Da man diesen zukunftsfähigen Ansatz nicht in der gewünschten Größe in den Griff bekam, sah man jedoch einen durchgängigen Stahlholm vor („Hybrid-Bauweise“.)

Diesen drei Aspekten ist gemein, dass jeweils eine technisch überholte bzw. abseitige technische Lösung realisiert wurde, von der zum damaligen Zeitpunkt bereits bekannt war, dass sie veraltet oder abseitig war. Im Folgenden wird auf diese drei Aspekte noch eingegangen – das entsprechende Stichwort ist dabei jeweils rot und fett hervorgehoben. Möglicherweise war es ein großes Glück, dass das Growian-Projekt so krass scheiterte, dass es offensichtlich keine Rückschlüsse für das Potential der Windenergie zuließ. Wäre der Growian nicht so schnell zu Bruch gegangen, sondern hätte er scheinbar gut funktioniert, dann hätte er ggf. mehr Schaden anrichten können als nur ein Vermögen an Steuergeldern zu vernichten – er hätte unter Umständen als Beleg dienen können, dass sich Windkraft nicht rechnet.

missglücktes Management

Das Management dieses Projekts war (auch bedingt durch Interessensgegensätze der Beteiligten) kritisch. Jörn Pulczynski hat im Rahmen seiner Dissertation den Growian als Lehrstück für missglücktes Management von Innovationen aufbereitet:

Pulczynski, J. (1991). Interorganisationales Innovationsmanagement: eine kritische Analyse des Forschungsprojektes GROWIAN. Vauk.
Ich betrachte diese Arbeit als maßgebliche Referenz zum Growian und möchte mit ihrer Hilfe den Projektverlauf nachzeichnen. Im Folgenden beziehen sich alle Seitenzahlen und die Nummerierung der Stichpunktartig angegebenen Kapitelüberschriften auf diese Arbeit.

  • Seite 36ff. 4.1. Ausgangspunkt: Die Ölkrise 1973 veranlasst die Bundesregierung zu nichtnuklearer Energiefoschung, die sich im Rahmenprogramm Energieforschung (1974-1977) und Rahmenprogramm Energieforschung (1977-1980) niederschlägt. Hans Matthöfer, Bundesminister für Forschung und Technologie, gibt 1976 ein schmales Büchlein heraus, um entsprechende Ansätze zu erklären: „Forschung Aktuell↵ Energiequellen für morgen?“. Darin nimmt mit 51 Seiten die Sonnenenergie den breitesten Raum ein, die Kapitel Meeresenergie und Geothermie umfassen jeweils 21 Seiten. Dagegen wird Windenergie und Wasserenergie mit jeweils 18 Seiten der geringste Raum gegeben.
  • Seite 41ff. 4.3. Konzeptionsphase: Pulczynski benennt eine Diskussionsrunde am 11.06.1976 in der Kernforschungsanlage Jülich als eigentlichen Start des Growian-Projektes. Pulczynski hat Protokolle ausgewertet und stellt fest, dass die 36 anwesenden Experten sich darin einig waren, „daß eine große Windenergieanlage technisch grundsätzlich realisierbar sei und nur die wirtschaftliche Nutzung der Windenergie mittels Bau und Erprobung einer Prototypanlage im Megawatt-Leistungsbereich erwiesen werden müsse;“ In dieser Diskussionsrunde wurden bereits folgenreiche Zielentscheidungen vorweggenommen. Leistung 2-3 Megawatt, Frist für Erstellung der baureifen Unterlagen 12 Monate, 50 Hz Asynchrongenerator für direkte Netzeinspeisung (Pulczynski schreibt offensichtlich irrtümlich auf Seite 45: Synchrongenerator.) Auf die desaströsen Folgen des künstlichen Zeitdrucks, der sich aus der Frist von 12-Monaten ergab, geht Pulczynski noch ausführlich ein. Nachteile der direkten Netzeinspeisung benennt er nicht. Auf diese gehe ich weiter unten ausführlich ein. Pulczynski arbeitet heraus, dass die Vorstellungen in Bezug auf die Anlagengröße stark auseinander gingen: „Unsere Gespräche mit den Projektbeteiligten haben ergeben, daß insbesondere Vertreter des staatlichen Systems die Realisation einer sehr großen Windenergieanlage forderten. Unterstützt wurde diese Forderung bereits in der Initiativphase durch die Auswahl und Einbindung entsprechender Promotoren aus dem wissenschaftlichen Innovationssystem, die sich als Verfechter einer extrem großen Windenergieanlage gaben.“ (Seite 49, Hervorhebung im Original) Pulczynski zitiert einen Vertreter des wissenschaftlichen Systems: „Die ‚Hybris‘ der Politiker habe die Innovation in die falsche Richtung gelenkt. Generell hielte er es für ein ‚Krebsgeschwür‘ staatlicher Subventionspolitik, daß sich Politiker durch Größenforderungen ein ‚Denkmal setzen‘ wollten“ (Seite 50) Die privatwirtschaftlichen potentiellen Hersteller hatten sich für eine stufenweise Vergrößerung der Windkraftanlagen ausgesprochen. Die privatwirtschaftlichen Betreiber haben demnach kein Interesse an der Windkraft gezeigt: „Die EVU‘s wollten im Prinzip nicht. Ihre Argumente gegen die Windenergieanlagen waren, daß eine Leistung von 3 MW bei den Energieversorgungsunternehmen mehr oder weniger den ‚Schaltstrom‘ darstellt, der fließt, wenn Schalter umgelegt werden“ Demnach war eine solche Leistung zu gering, um sinnvoll in die bestehende Infrastruktur eingebunden zu werden. Die EVU‘s befürworteten also in dem Sinne eine große Windkraftanlage, dass diese für sie nicht ganz so uninteressant wäre wie kleine Windkraftanlagen. Zum Turmkonzept wurden am 11.06.1976 noch keine genauen Festlegungen getroffen. Man liess offen: „Gitter-, Stahlrohr- oder Stahlbetonmast, wobei der Art der Ausführung eine geringere Rolle beigemessen wurde.“ (Seite 45)
  • Seite 54ff. 4.3.2. Entscheidungen Die Kernforschungsanlage Jülich verschickte am 16.07.1976, also nur knapp einen Monat nach der ersten Diskussionsrunde an einen beschränkten Teilnehmerkreis eine Ausschreibung über die Ausarbeitung baureifer Unterlagen. Im Juni 1977 erhielt die MAN (in Partnerschaft mit der DLR) einen entsprechenden Auftrag. Aus Sicht des Experten für Innovationsmanagment weist Pulczynski auf Fehler in dieser Phase hin, insbesondere auf den aus Sicht der Beteiligten unverständlichen Zeitdruck, aber auch den fehlenden Rückgriff auf Vorerfahrungen mit kleineren Anlagen und das Verbot eines Iterationslaufs. Im Herbst 1977 trat dann deutlich ein Konflikt bezüglich der Anlagengröße zu Tage. Die Auftragnehmer präsentierten im Oktober den Entwurf einer Anlage mit 82 m Rotordurchmesser und 2 MW Leistung. Doch der wurde abgelehnt: „[Ein Vertreter des staatlichen Systems] vertrat die feste Auffassung, daß die zu bauende Anlage einen Rotordurchmesser von 100m besitzen sollte, da die Amerikaner zur selben Zeit Anlagen mit einem Rotordurchmesser von 90 m planten.“
  • Seite 62ff. 4.3.2.4. Konfliktregulierung Man einigte sich auf eine „100-Meter-Kompromißlösung“, wobei der Kompromiß darin bestand, von der ursprünglich geforderten reinen Composite-Bauweise abzuweichen und stattdessen die Rotorblätter in Hybrid-Bauweise zu fertigen. Pulczynski warnt vor dem Trugschluss, der Hersteller MAN habe diesen Kompromiss befürwortet: „Wird ein staatlicher Forschungs- und Entwicklungsauftrag zur Hervorbringung einer Innovation vergeben, der die entstehenden Kosten zu 100 Prozent finanziert und zugleich das technische Risiko übernimmt, dann fällt es Unternehmensvertretern relativ schwer, einen derartigen Auftrag abzulehnen, weil sie den geforderten Innovationssprung für zu groß halten.“ Anscheinend handelte es sich um einen faulen Kompromiss, der das Scheitern des Projektes besiegelt – lange vor dem ersten Spatenstich. Technisch gab es dramatische Rückwirkungen, weil man die ursprünglich angestrebte Rotor-Bauweise nicht in den Griff bekam, weshalb sich das Rotorgewicht gegenüber der ursprünglichen Planung vervielfachte. Organisatorisch, weil die DLR aus dem Vorhaben ausschied und damit die einzigen Wissenschaftler, die zuvor den Bau großer Rotorblätter für machbar gehalten hatten.
  • Seite 69ff. 4.3.2.5. Gründe & Konsequenzen einer großen Dimensionierung dem für seine Zeit einmalig großen Rotordurchmesser stand eine vergleichsweise geringe elektrische Nennleistung gegenüber, wodurch sich eine im Vergleich zu anderen Anlagen besonders niedrige Flächenleistung ergab. Was für einen windreichen Standort in der norddeutschen Tiefebene nicht besonders sinnig erscheint. Die geplante Nabenhöhe von 102 m lag angeblich oberhalb der Möglichkeiten damals verfügbarer Krane.Foto vom Hubvorgang zeigt, wie der Mast das Maschinenhaus durchdringt Deshalb sollte das am Boden komplett zusammengebaute Maschinenhaus am Turm hochgezogen werden. Dieses Konzept einer kranfreien Montage bewirkte einen Rattenschwanz technischer Nachteile, der nur ein marginaler technischer Vorteil gegenüberstand. Gegenüber einer Turmhöhe von 80 m wurde eine um nur 3,4 Prozent höhere Jahresarbeit kalkuliert (Seite 89). Der überraschend kleine Einfluss der Turmhöhe auf die Jahresarbeit ergibt sich offensichtlich daraus, dass der elektrische Generator so unterdimensioniert wurde, dass die erzeugte elektrische Leistung in vielen Betriebssituationen durch den elektrischen Generator begrenzt würde und nicht durch die verfügbare mechanische Leistung des Windes. „[Man hatte] sich für ein Montageverfahren entschieden, welches vorsah, das Maschinenhaus samt Rotor am Anlagenturm hochzufahren, wobei während des Hebevorgangs der Turm das Maschinenhaus durchdrang […] Anstatt den Turm der Windenergieanlage soweit zu kürzen, daß eine Kraninstallation möglich wurde, hatte man sich für die höhere und technisch kompliziertere Problemlösung entschieden“ (Seite 81f. Abbildung 19 auf Seite 113 zeigt ein Photo von dem Hebevorgang) Der Turm musste mit 3,50 Metern Durchmesser extrem schlank sein um durch das Maschinenhaus geführt werden zu können.Die Seitenansicht zeigt Verdrehung des Rotors und dessen Abstand zu Abspannseilen Man musste den Turm mit Seilen abspannen, wobei sich Abspannseile und Rotorblätter natürlich in keiner Betriebssituation ins Gehege kommen durften. Der Rotor musste deshalb im Windschatten hinter dem Turm angebracht werden, damit die Kraft des Windes die Rotorblätter weg vom Turm und den Abspannseilen biegen würde (Leeläufer). Als unerwünschte Nebenwirkung wurde der Wind natürlich durch den Turm abgebremst und verwirbelt, bevor er auf die Rotorblätter traf. Um den Abstand der Rotorblätter zu den Abspannseilen weiter zu erhöhen wurde die Drehebene des Rotors um 10° verdreht, und die Rotorblätter jeweils um einen Konuswinkel von 9° gegenüber der Drehachse nach hinten geneigt. Die Seitenansicht soll diese Verhältnisse verdeutlichen. Sie stammt aus dem Statusbericht Windenergie des BMFT von 1980, erscheint dort als Abbildung 2 auf Seite 10. Diese Verdrehungen müssen erhebliche Zusatzlasten auf das Material – insbesondere auf die Lager bewirkt haben – aus meiner ingenieursmäßigen Sicht stellt sich die gesamte Konstruktion als technischer Alptraum dar. Die These, bis 80 m Turmhöhe sei eine Installation per Kran möglich oder praktikabel  gewesen, darüber aber nicht findet sich auch in anderen Quellen zum Thema Growian, so auch im Statusbericht Windenergie: „Die Größe der Anlage macht den Einsatz von fahrbaren Kränen für die Monatge (sic) und Inspektion praktisch unmöglich.“ Hierbei werden die Tatsachen unzulässig verkürzt. Es wird (anscheinend fälschlich) nahe gelegt, dass nur eine bestimmte Sorte fahrbarer Kräne in Frage gekommen wäre. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass in den 1970ern geeignete Krane zur Verfügung standen, um eine Montage eines Windrades mit 100 m Turmhöhe per Kran durchzuführen. So wurde in den 1970ern der 150 Meter hohe Kühlturm des Kernkraftwerks Gösgen durch einen Kran montiert (laut kran-info.ch von einem Kran Typ Liebherr 180 HC-K) Das 1972 angemeldete Patent DE2060754C zeigt beispielhaft einen Kletterkran, der für den Straßentransport ausgelegt und in diesem Sinne „fahrbar“ ist. Warum beim Growian auf abenteuerlichem Wege und mit gewaltigen technischen Nachteilen eine Kranmontage vermieden wurde, ist vor diesem Hintergrund zumindest erklärungsbedürftig – und die Quellen geben keine zufrieden stellenden Erklärungen.
  • Seite 85 ff. 5. Implementation Ende 1978 lagen die baureifen Unterlagen vor und wurden an alle Energieversorger in der BRD mit Bitte um Stellungnahme verschickt: „Es hätte den Vertretern des staatlichen Systems zu denken geben sollen, daß es zu keiner Resonanz von Seiten der Energieversorgungsunternehmen auf dieses Anschreiben kam.“ (S. 86, Hervorhebung im Original) Pulczynski vermutet, dass das BMFT starken Druck auf die HEW ausübte, um dieser die Federführung für die weitere Projektabwicklung aufzudrängen – obwohl die Vertreter des staatlichen Systems wußten, daß insbesondere die HEW an der Realisation des Projektes kein ausgeprägtes Interesse hatte. So gab ein Vertreter des staatlichen Systems zu Protokoll : „Es war insbesondere die Einstellung bei der HEW in Hamburg, mit Growian zu zeigen, daß es nicht geht“ (Seite 86f.) Zu dem technischen Alptraum gesellte sich also der organisatorische Alptraum, dass gleichsam der Bock zum Gärtner gemacht wurde, indem der HEW mit ihrer ablehnenden Haltung die Federführung aufgedrängt wurde. Pulczynski benennt in diesem Zusammenhang eine „Verschwörungsthese“, die in der Öffentlichkeit mehrfach diskutiert worden sei, verfolgt diese im Rahmen seiner Arbeit aber nicht. Er liefert allerdings hierzu eine ausführliche Literaturliste, die ich im Anschluss angebe. Pulczynskis Darstellung führt mich zu der Vorstellung, dass die „Große Windenergieanlage Bau- und Betriebsgesellschaft mbH“ (GROWIAN GmbH) bereits bei ihrer Gründung am 8.1.1980 allein aus technischen Gründen, wegen der geplanten ungünstigen Konstruktionsweise, zum Scheitern verurteilt war – auch ohne dass die HEW zusätzliche Probleme eingebracht hätte. Ich überspringe viele Dutzend Seiten mit Details zum sich entfaltenden Desaster, um noch auf ein Ereignis mit Symbolcharakter einzugehen, nämlich die offizielle Einweihung am 17.10.1983:
  • Seite 131ff. 5.6.3 Weitere Ungereimtheiten Der Growian wurde anscheinend bereits am Tage der offiziellen Inbetriebnahme kaputtgemacht: „GROWIAN wurde trotz der an diesem Tage schlechten, d.h. zu starken Windverhältnisse in Betrieb genommen. Eine Inbetriebnahme der Anlage bei den herrschenden Windverhältnissen konnten die Techniker eigentlich nicht vertreten. Aufgrund des offiziellen Charakters der Veranstaltung wollte man aber unbedingt die Windkraftanlage in Betrieb nehmen. Die Inbetriebnahme selbst war mit einer harten Notabschaltung verbunden, bei der nach Auffassung … [des Befragten] die Anlage einen starken Schaden erhalten hat.“

Literaturliste zur Verschwörungsthese

Pulczynski hat auf Seite 87 einige Veröffentlichungen zusammengestellt, die sich mit dem Verdacht befassen, der GROWIAN diene nicht der Erforschung der Winkraft, sondern dem Nachweis „einer illusionären Energiegewinnung durch derart große Windkraftanlagen“. Unter der Überschrift Politisch gewolltes Scheitern werden solche Vorstellungen auch auf Wikipedia diskutiert.

Die Digitalisierung von Zeitungsarchiven erfasst bisher kaum die 1980er Jahre. Deshalb konnte ich nur einen einzigen der aufgeführten Artikel verlinken. Wer die Berichterstattung zum Growian in den 1980ern nachvollziehen möchte, muss sich in Bibliotheken oder Zeitungsarchive begeben. Dies ist mir Stand April 2020 nicht möglich. Diese Auflistung steht für das Pensum, das ich mir für den ersten Besuch in der Staatsbibliothek vornehme, sobald diese nach den Ausgangsbeschränkungen zur Corona-Krise wiedereröffnet wird. Oder für meinen nächsten Besuch im ZEFYS Zeitungsinformationssystem – vielleicht erschliessen die dort verlinkten Zeitungsarchive irgendwann die 1980er.

  • Die Antwort weiß nicht nur der Wind. Eine neue Energiequelle im Widerstreit, in: Frankfurter Rundschau vom 26.9.1981
  • „Growian“ kein Zukunftsprojekt, in: Nürnberger Nachrichten vom 10.11.1982
  • Wind aus den Segeln, in: Frankfurter Rundschau vom 18.10.1983
  • Nach dem Startschuß lieferte GROWIAN mehr Pannen als Strom, in: Die Welt vom 14.3.1984 von D.F. Hertel
  • Windanlage ist ein Jammer, in: Kölner Stadt-Anzeiger vom 26.10.1984 von K. Plog
  • „Growian“ steht bald still, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4.6.1985.
  • Ende einer Euphorie. Growian wird abgerissen, die Idee aber weiterverfolgt, in: Die Welt vom 5.6.1985 von D.F. Hertel
  • Wind aus den Segeln, in: Bayern Kurier vom 8.6.1985
  • Armer Riese, in: Der Spiegel vom 10.6.1985

Das BMFT hat epochemachende neue Prinzipien verschlafen

Aus der Rückschau ist man selbstverständlich klüger. Es wäre nicht fair, Entscheidungen aus den 1970ern vor dem Hintergrund heutiger Erkenntnisse bewerten zu wollen. Vom Bundesminister für Forschung und Technologie Hans Matthöfer, also einem der Männer, die später dem Growian ausdrücklich einen wirtschaftlichen Misserfolg wünschten, wurde 1976 eine Studie herausgegeben, die sehr selbstbewusste Prognosen über zukünftige Entwicklungen enthielt. In dieser Studie Energiequellen für morgen? Nichtfossile – nichtnukleare Primärenergiequellen stand: „Die Technologie der Windenergieanlagen ist sehr weit entwickelt, und in Zukunft ist kaum mit epochemachenden neuen Prinzipien zu rechnen.“ (Seite 56) Diese Studie übersah das epochemachende neue Prinzip der elektronischen Frequenzumrichtung, das dem Asynchrongenerator mit direkter Netzeinspeisung den Garaus machen sollte. Das Paper „Controllable d.c. power supply from wind-driven self-excited induction machines“ liefert hierfür eine Anleitung. Schlussfolgerung dieses Papers: „For wind-power generator schemes, variable speed drives are not only acceptable but actually desirable. The self-excited induction generator with controlled rectifier can allow wide changes in wind- turbine speed, optimum generating power being set at all speeds by rectifier delay-angle control, provided a suitable sink for the power is available. At the same time a constant output d.c. voltage can be maintained and the generator always operates in the low slip region. Rectifier control can be programmed to respond rapidly to fluctuations in wind power and electrical load. The proposed system seems suited to both small and large wind-power generation schemes, eliminating the need for expensive mechanical speed control.“

Übersetzung: „Für Windkraftanlagen sind Frequenzumrichter nicht nur akzeptabel, sondern auch wünschenswert. […] Das vorgeschlagene System scheint sowohl für kleine als auch für große Windkraftanlagen geeignet zu sein, und teure mechanische Geschwindigkeitsregelung entbehrlich zu machen.“

Ich denke, das Bundesministerium für Forschung und Technologie hätte bereits 1976, aber in jedem Fall vor der Gründung der GROWIAN GmbH am 8.1.1980 erkennen können und sollen, dass sich seinerzeit seitens der Halbleitertechnologie wesentliche Neuerungen anbahnten. Das oben genannte Paper erschien im Dezember 1979, also nur einen Monat vor der Gründung der GROWIAN GmbH. Wenn dieses Paper die einzige Chance für das BMFT gewesen wäre, zu erkennen, dass es beim Growian auf eine veraltete Technik setzte, dann mag man das BMFT mit dem ungünstigen Timing entschuldigen, dass dieses Paper nur einen Monat vor der Gründung der GROWIAN GmbH erschienen war. Aber man könnte auch von einer glücklichen Fügung sprechen. Denn dies Paper war nicht nur lange vor dem ersten Spatenstich an 15.5.1981, sondern sogar noch vor der Gründung der GROWIAN GmbH erschienen, also zu einem Zeitpunkt, zu dem man das Vorhaben gesichtswahrend und ohne jede weitere Kosten hätte terminieren können – nach dem Motto ausser Spesen nichts gewesen.

Dieses Paper war aber nicht die einzige Chance für das BMFT, zu erkennen, dass man mit dem Growian gleichsam die größte Dampflokomotive der Welt geplant hat wo sich die Dampfära bereits dem Ende neigte. Das Paper Generation Schemes for Wind Power Plants vom Juli 1975 weist ausdrücklich auf den möglichen Einsatz von Frequenzumrichtern in Windkraftanlagen hin (Im Abschnitt Variable Speed Constant Frequency Systems als AC-DC-AC conversion system bezeichnet und in Figur 2 skizziert.) Es benennt den bestehenden Forschungsbedarf : „This paper has reviewed various generation schemes that have been proposed for wind generation. […] application to variable speed systems like wind energy conversion is new. These principles must be tested in the laboratory before their adaptability to windsystems can be judged.“

Übersetzung: „In diesem Papier wurden verschiedene Ansätze zur Erzeugung von Windenergie  überprüft, die für die Winderzeugung vorgeschlagen wurden. […] Die Anwendung auf Systeme mit variabler Geschwindigkeit wie die Umwandlung von Windenergie ist neu. Diese Prinzipien müssen im Labor getestet werden, bevor ihre Anpassungsfähigkeit an Windkraftanlagen beurteilt werden kann. “

Es ist keine Schande, am Ende einer Ära das größte Exemplar einer auslaufenden Technologie realisieren zu wollen – aber dieser Schlusspunkt einer Epoche sollte dann doch ausgereift – und nicht im Sinne eines Forschungsprojekts dem Erkenntnisgewinn gewidmet sein. Das Siemens-Patent DE19620906C2 Windenergiepark wurde erst 1996 angemeldet und 1998 veröffentlicht. Hätte das BMFT unter Hans Matthöfer einen guten Job gemacht, dann hätte es die freie Wirtschaft vielleicht schon in den 1970ern zu derartigen Überlegungen und Erfindungen inspirieren können.

  • Nachteile der direkten Netzeinspeisung: Jeder kann heute aus eigener Anschauung nachvollziehen, dass bei WKA Generatoren mit direkter Netzeinspeisung keine Rolle mehr spielen. Denn diese wären daran zu erkennen, dass ihre Rotoren unabhängig von der Windgeschwindigkeit mit fast konstanter Drehzahl laufen. Im Statusbericht Windenergie wird die Generatordrehzahl des GROWIAN mit 1500 U/min ± 15% angegeben, die Rotordrehzahl mit 18,5 U/min ± 15%. Der Wert ± 15% spiegelt den recht hohen Schlupf dieser Maschine wieder. Hintergrund und Nebenwirkungen des Phänomens Schlupf werden im Wikipedia-Artikel zum Asynchrongenerator im Abschnitt Direkte Netzkopplung erklärt. Dort wird für Asynchrongeneratoren ein typischer Wirkungsgrad von 90% angegeben, weit schlechter als der bei Synchrongeneratoren typische Wirkungsgrad von 95% – 99%. Zu den Nebenwirkungen der direkten Netzeinspeisung mit Asynchronmaschine gehören auch wesentliche Nachteile für das Stromnetz. Die direkte Netzkopplung wird laut Wikipedia aufgrund der Nachteile für das Netz kaum noch angewendet. Anders gesagt: der Widerstand der EVU gegen Windkraftanlagen dürfte auch auf einen Widerstand gegen die direkte Netzkopplung von Asynchronmaschinen zurückgehen. Und dieser Widerstand war sachlich begründet und berechtigt. Vereinfacht gesagt: Eine Asynchronmaschine ist ein robuster Rüpel, dem man aber mit einem Frequenzumrichter Manieren beibringen kann. Eine Synchronmaschine gleicht dagegen einer anspruchsvollen Diva, die man in manchen Einsatzfällen überhaupt nur mit Hilfe von Frequenzumrichtern zur Arbeit bewegen kann. Wenn der Widerstand der EVU gegen Windkraftanlagen Mitte der 1980er zurückging, dann mag hierbei neben Tschernobyl auch die Entwicklung der elektronischen Frequenzumrichtung eine wesentliche Rolle gespielt haben. Es ist für mich nicht zu fassen, dass im Vorfeld dieses Projekts anscheinend niemals das Konzept der direkten Netzkopplung mit Asynchronmaschine als problematisch thematisiert wurde.
  • Koevolution von Kranen und Windkraftanlagen Kräne zum Heben schwerer Lasten wurden bereits in der Antike erfunden. Sie wachsen sprichwörtlich mit ihren Aufgaben. Selbst in einem hypothetischen Szenario, in dem der Growian tatsächlich den von den Initiatoren erhofften Erfolg gehabt hätte, in dem die Privatwirtschaft deren Nützlichkeit und Zuverlässigkeit erkannt hätte und aus eigener Initiative Aberhunderte Große Windkraftanlagen hätte errichten wollen – wie hätte man da annehmen können, dass es zu einem Nachbau des GROWIAN gekommen wäre, oder überhaupt zu einem Nachbau einer vergleichbaren Konstruktion (kranfreie Montage, schlanker Stahlturm, Abspannseile, Leeläufer)? Es liegt doch auf der Hand, dass in einer derartigen Situation die Hersteller von Kranen motiviert gewesen wären, an derart große Windkraftanlagen angepasste Krane zu entwickeln. Selbst wenn die GROWIAN-Konstruktion brauchbar gewesen wäre – sie hätte offensichtlich niemals mit einer Konstruktion konkurrieren können, die für die Montage durch einen Kran ausgelegt wäre. Ein ähnliches Argument liesse sich auch gegen das Konzept der direkten Netzkopplung mit Asynchronmaschine anbringen. Als die (angeblich) baureifen Unterlagen 1978 fertig waren, mag es noch keine einsatzfähige Alternative zur direkten Netzkopplung mit Asynchronmaschine gegeben haben. Trotzdem hätte seinerzeit deutlich sein sollen, dass dies kein geeignetes Konzept für die Serienproduktion großer Windkraftanlagen war. Der Growian hätte also aus grundsätzlichen, wirtschaftlichen Gründen niemals ein Vorbild für Serienmodelle sein können. Deshalb war die Bedingung b) aus dem offiziellen Lastenheft wenig sinnhaft, dass „die Möglichkeit einer Serienfertigung vorzusehen war, wobei die Verwendung marktgängiger Komponenten berücksichtigt werden sollte.“ (Seite 60)
    An der Abhängigkeit der Windkraftanlagen von der Verfügbarkeit geeigneter Krane hat sich bis heute nichts geändert. Folgende Beispiele sollen das veranschaulichen:
    – Gittermast-Raupenkran Terex Demag CC 9800 bei der Errichtung einer Enercon E 141 (Video von 2017.)
    – Liebherr Flat-Top-Kran 1000 EC-B 125 Litronic (Pressemeldung von 2014)
    – Montage einer Windkraftanlage ENERCON E126 EP4 bei Lelystad (Video von 2018) Wenn die technischen Daten dieser Anlage hier richtig eingepflegt sind, handelte es sich dabei um eine Anlage mit 4,2 MW Nennleistung, Rotordurchmesser 127 m und Nabenhöhe 144 m (Für diesen Anlagentyp wurden demnach 3 Nabenhöhen angeboten: 99/135/144 m. Aus den Bildern ergibt sich eindeutig, dass die Nabenhöhe deutlich größer ist als der Rotordurchmesser, weshalb nur 144 m in Frage kommt.)
    – Erster Teil der Doku Grenzenlose Windkraft? die 2012 auf 3Sat lief (Video.) und die Errichtung einer Windkraftanlage mit 130 m Turmhöhe zeigt, die insgesamt 200 m hoch ist. Darin sagt bei 12 Minuten 25 Sekunden Bernhard Fink, Projektleiter bei Enercon: „Ich denke dass wir im Moment ein gewisses Limit vorläufig erreicht haben, die Anlagen werden größer, die Kräne werden größer, wir haben jetzt gemerkt, dass wir die technischen Grenzen des Kranes erreicht haben.“ (Die Transkription durch 3sat, die sich hier im Internet-Archiv findet, ist übrigens nicht ganz korrekt. Dort fehlt das Wort „vorläufig“, als wäre es ein Füllwort, als hätte die Koevolution von Kranen und Windkraftanlagen ihr dauerhaftes Ende gefunden.)
  • Kosten Der Spiegel Artikel Armer Riese nennt die Zahl von 90 Millionen Mark für die Errichtung des Growian: „Für rund 90 Millionen Mark durften die bayrischen Windmüller Anfang der achtziger Jahre ein Kunstwerk aufrichten, an dem alles nur vom Besten und Teuersten war.“ Das wird so nicht stimmen. Vermutlich hat der Spiegel die Kosten für die Erstellung der baureifen Unterlagen, für den Betrieb und für Abbruch & Renaturierung mit den Kosten für die Errichtung in einen Topf geworfen um zu dieser hohen Zahl zu kommen. Pulczynski nennt auf Seite 101 folgende Zahlen: Ursprünglich geplante Kosten für das Projekt „Bau- und Betrieb GROWIAN“ 38,5 Millionen Mark, die sich in 2 Schritten um 16,5 Millionen Mark auf insgesamt 54,65 Millionen Mark erhöhten. Tabelle 17 auf Seite 156 bildet die Trennung in die Projekte Bau GROWIAN und Betrieb GROWIAN ab und enthält deshalb etwas andere Zahlen (53,306 Mio Mark für den Bau, 5,980 Mio Mark für den Betrieb.) Die Erstellung baureifer Unterlagen wurden als separates Teilprojekt abgerechnet, aber auch die Fertigungsentwicklung, Bau und Test des Growian-Rotorblattes. Aber auch die seinerzeit erhebliche Inflation erschwert es, das Projekt mit einem simplen Preisschild zu versehen. Eine Gesamtsumme der Kosten habe ich bei Pulczynski nicht gefunden, weshalb ich in der Einleitung schwammig von einem Mehrfachen der ursprünglich für Bau und Betrieb geplanten 38,5 Mio Mark spreche.
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