Konrad Adenauers Reden zum 62. Deutschen Katholikentag 1922

Den Katholiken Konrad Adenauer sollte man nicht in einem Atemzug nennen mit seinem Vorgänger, den Mann des demokratiefeindlichen Flügels des Deutschen Katholizismus, der 1945 an allen Fronten gescheitert war, ohne die damalige Gespaltenheit des Katholizismus zu thematisieren.

Diese Gespaltenheit prägte den 62. Deutschen Katholikentages, der 1922 in München tagte und dessen Präsident der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer war. In dieser Eigenschaft hielt Adenauer am 28. August 1922 die Eröffnungsrede und am 30. August 1922 die Schlussansprache.

Eröffnungsrede mit Bekenntnis zur Religion und Nation

Adenauer sprach über das Diktat von Versailles und über gute Katholiken, gute Bayern, gute Deutsche und appellierte an diese: „niemals werden wir unsere nationale Zusammengehörigkeit, unsere nationale Einheit preisgeben.“ Er appellierte an die Katholiken Amerikas, Belgiens, Englands, die Katholiken der ganzen Welt und ganz besonders Frankreichs und wollte somit die supranationale Struktur der römisch-katholischen Kirche nutzen, um die Not in Deutschland zu lindern.

Adenauer benannte den Nationalsozialismus bzw. dessen Nährboden höchst treffend, obwohl die NSDAP 1922 noch ganz am Anfang stand: „Eine dritte Abart von Sozialisten mengt den politischen und wirtschaftlichen sozialistischen Ansichten allerlei sonstige Fragen der Lebensauffassung, kulturelle Fragen, Fragen der Kunst, ethische Fragen bei und sucht so eine Art nichtchristliche Religion zu schaffen. Täuschen wir uns nicht über die Gefahr, die darin steckt!
Mit einer solchen Diesseits-Religion kann man unser Volk in gefährlicher Weise entchristlichen. Es liegt nur zu nahe, dass Menschen, deren religiöse Überzeugung verschwommen ist, die nur noch aus einem gewissen Beharrungsvermögen heraus und mehr dem Namen nach christlich sind, einer solch geschickt vorgetragenen, den natürlichen Instinkten entgegenkommenden, mit Redensart über Kultur und Schönheit und Kunst verbrämten Diesseitsreligion sich zuwenden und ihr zum Opfer fallen.“

Schlussansprache mit Bekenntnis zur Demokratie

Adenauers Schlussansprache beinhaltete ein klares Bekenntnis zur Weimarer Verfassung: „Es verrät Mangel an historischem Blick, die heutige Verfassung verantwortlich zu machen für die heutigen Zustände. Es verrät Mangel an historischem Blick, sie verantwortlich zu machen für die Kämpfe, die uns Katholiken bevorstehen.“

Kritikpunkte

Bei manchen Passagen in Adenauers Eröffnungsrede reibe ich mir verwundert die Augen. Hatte es das Deutsche Reich vor 100 Jahren tatsächlich geschafft, Vergewaltiger im Dienste der katholischen Kirche der weltlichen Justiz zu unterwerfen? („Denkt an die Lage unserer Orden! Sie wurden überhaupt nicht zugelassen, oder, wenn sie zugelassen wurden, wie notorische Verbrecher der Polizeiaufsicht unterstellt und in der kleinlichsten, gehässigsten Weise schikaniert.“)

Erstaunt nehme ich zur Kenntnis, wie plump Adenauer Kritik an den Kirchenorganisationen verdrehte zu einer Kritik an den Gläubigen: „Galt nicht der überzeugte Katholik als staatsgefährlich, wurde er nicht aus hohen Staatsstellen geflissentlich ferngehalten? Wie sah’s auf den Universitäten aus? Wie war das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Italien, oder gar erst in Frankreich? Nein, in den letzten 50 Jahren waren im staatlichen und öffentlichen Leben Europas nichtchristliche Grundsätze maßgebend, die letzten Jahrzehnte waren die Zeit der ausgesprochenen Herrschaft des Materialismus.“

Staatsgefährlichkeit des Katholizismus

Adenauers Argumentation scheint aus heutiger Sicht vollkommen absurd, weil offensichtlich ist, dass ein einzelner überzeugter Katholik kaum staatsgefährlich sein kann – selbst dann nicht, wenn er mit derart unterdurchschnittlichen kognitiven Fähigkeiten daherkommt wie der überzeugte Katholik, der sich in den langen Jahren des ersten Weltkriegs als zu dumm und unfähig erwiesen hat, sich vom Gefreiten zum Obergefreiten befördern zu lassen.

Es scheint zumindest naheliegend, dass Papst Pius XI, religiöses Oberhaupt der in der deutschen Zentrumspartei vereinigten katholischen Politiker und der katholischen Galionsfigur der NSDAP, den wenig begabten Kunstmaler mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 als Diktator etablieren wollte. Welche alternative Erklärung existiert denn für das Stimmverhalten der Zentrumspartei?

Die undemokratische, zentralistische Machtstruktur der katholischen Kirche legt zumindest nahe, dass der heilige Stuhl, der sich bereits mit dem italienischen Faschismus arrangiert hatte und von Mussolini bereits die Lateranverträge errungen hatte, die Diktatur auch in Deutschland aktiv förderte, weil Pius XI. das Reichskonkordat, der am 20. Juli 1933 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich geschlossene Staatskirchenvertrag, wichtiger war als die Demokratie in Deutschland. Damit will ich keineswegs ausschließen, dass in einer fiktiven Parallelwelt, in der Pius XI nicht Ermächtigungsgesetz gegen Reichskonkordat getauscht hätte, und in der Pius XI kein religiöses Oberhaupt gewesen wäre – weder von den Politikern der Zentrumspartei, noch von solchen der NSDAP, erstere vielleicht auch aus freien Stücken, ganz selbstständig denkend, den Wunsch gehabt hätten, den Diktator zu ermächtigen und die Demokratie in Deutschland abzuschaffen.

Forschungsbedarf

Falls Sie, geschätzter Leser, Kenntnis haben, dass die Frage der Beteiligung von Pius XI am Ermächtigungsgesetz bereits abschließend geklärt ist, und ebenso die Fragen wann der Gröfaz welche Verbrechen welchem Beichtvater gebeichtet hat, und ob und wenn ja wann der Heilige Stuhl über die Beichte vorzeitige Kenntnis der Naziverbrechen erlangte, dann freue ich mich über jeden Hinweis von Ihrer Seite. Bis dahin nehme ich an, dass bezüglich des katholischen Diktators und seiner Spießgesellen und Förderer noch immer dringender Forschungsbedarf besteht.

Quellen und Weiterführendes

In diesem Zusammenhang ebenfalls lesenswert: Die Richtlinien der Zentrumspartei von 1922 und der Text Adenauer als Präsident des Katholikentags 1922 von Rita Anna Tüpper. Letzterer befindet sich genau wie die beiden verlinkten Redetexte auf den Seiten der Konrad Adenauer Stiftung, einer nicht vollkommen zuverlässigen Quelle, wenn man bedenkt, dass diese angeblich gemeinnützige Stiftung wider besseres Wissen seit Jahren ebenso hartnäckig wie wahrheitswidrig behauptet, Ursula von der Leyen habe im Anschluß an ihr Abitur ein Studium der VWL begonnen. Dabei habe ich die Verantwortlichen für diese Falschdarstellung bereits 2019 über die tatsächlichen Verhältnisse informiert und eine Korrektur angemahnt. Doch seit nunmehr vier Jahren deckt die Konrad Adenauer Stiftung ein 1990 von Ursula von der Leyen errichtetes Kartenhaus, aus dem sich die evangelisch-lutherische Erbauerin längst geschickt und ohne öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen zurückgezogen hat.

Anmerkung

Bemerkenswert: Frauenrechte sind für Adenauer 1922 kein Thema. Die Worte ‚Frau‘ oder ‚Weib‘ tauchen in keiner der beiden Reden auf. Damals war noch nichts zu erahnen von dem Kampf Adenauers gegen die Frauenrechte, den dieser in den 1950ern führen wird.

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