Aus dem Natokonzept von 1999 zu Atomwaffen:
(46) Um den Frieden zu wahren und einen Krieg und auch jegliche Form von Zwang zu verhindern, wird das Bündnis für die vorhersehbare Zukunft eine geeignete Zusammensetzung nuklearer und konventioneller Streitkräfte beibehalten, die in Europa stationiert sind und auf dem gebotenen Stand gehalten werden, wo dies erforderlich ist, wenngleich auf dem geringstmöglichen ausreichenden Niveau. Angesichts der Vielfalt der Risiken, denen sich das Bündnis gegenübersehen könnte, muß es die Streitkräfte beibehalten, die zur Gewährleistung einer glaubwürdigen Abschreckung erforderlich sind und ein breites Spektrum konventioneller Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Aber die konventionellen Streitkräfte des Bündnisses allein können eine glaubwürdige Abschreckung nicht gewährleisten. Einzig Nuklearwaffen machen die Risiken jeglicher Aggression unkalkulierbar und unannehmbar. Sie sind daher nach wie vor von entscheidender Bedeutung für die Wahrung des Friedens. „
Dieser Absatz stimmte von Anfang an nicht. Er hat sich spätestens am 11.09.2001 als falsch erwiesen, weil Aggressionen gegen Natostaaten durch Verbrecher offenkundig trotz Atomwaffen möglich sind, passieren, und in keiner Weise durch Atomwaffen abgeschreckt werden. Mit 6 (Sechs!) Jahren Verzögerung sind den Chefstrategen wohl auch Zweifel gekommen, weshalb es nach dem 10.10 2007 von den Seiten der Nato entfernt wurde und seitdem nur noch über das Internet-Archiv abrufbar ist. (siehe nukleare Teilhabe.)
Anekdote hierzu: Jacques Chirac nahm im Januar 2006 für sich in Anspruch, bereits unmittelbar nach dem 11.09.2001 erkannt zu haben, dass Atomwaffen nichts gegen fanatische Terroristen ausrichten können („La dissuasion nucléaire, je l’avais souligné au lendemain des attentats du 11 septembre 2001, n’est pas destinée à dissuader des terroristes fanatiques.“, Quelle: vie-publique.fr) Als französischer Staatspräsidenten hätte Chirac diesen klugen Gedanken schon 2001 oder zumindest 2006 den Strategen der Nato weitergeben sollen. In der gleichen Rede von 2006 vertrat Chirac die zweifelhafte Überzeugung, dass Atomwaffen Staaten davon abschrecken können, Terroristen zu unterstützen.
Die 2006 von Chirac angestoßene Diskussion wird in einem bemerkenswerten Beitrag auf faz.net vom 20.01.2006, nachgezeichnet. Faz.net zitiert dabei den seinerzeitigen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU) mit den Worten: „Wofür sollten sie [die Atomwaffen] sonst da sein, wenn nicht für diesen Abschreckungszweck?“
Der im Natokonzept von 1999 behauptete absolute Schutz durch Atomwaffen („Einzig Nuklearwaffen machen die Risiken jeglicher Aggression unkalkulierbar und unannehmbar“) ist und war niemals gegeben. Damit will ich nicht sagen, dass man die von zwei Dutzend Harburger Studenten verübten Aggressionen gegen die USA zu recht als „Krieg“ hochstilisiert hat. Im Gegenteil, die Überhöhung von Verbrechern zu Kriegsgegnern halte ich für die allerdümmste Option, die am 11.09.2001 zur Wahl stand. Aber die Art des Verbrechens fällt – auch wenn hier von Krieg zu sprechen eine gewaltige Dummheit war – sicherlich unter den Begriff der Aggression.
Dagegen sind mit dem Ende des kalten Krieges Aggressionen gegen Natostaaten durch feindliche Staaten einigermassen unwahrscheinlich – mit oder ohne Atomwaffen.
Der Nachweis irgendeines Nutzens von Atomwaffen für die Natostaaten ist damit gehörig misslungen. Damit ist allerdings auch nicht die Nutzlosigkeit der Atomwaffen bewiesen – aber es gibt Anlaß, noch einmal nachzudenken. Ich halte es für unstrittig, dass es wichtig ist, einen meßbaren und bewertbaren Nutzen der Atomwaffen nachzuweisen – denn die nukleare Hochrüstung einiger weniger Staaten ist zweifelsfrei eine der Hauptmotivationen für das Begehren von anderen Staaten, ebenfalls Zugriff auf Atomwaffen zu gewinnen.
Ohne Beleg: ich halte die einseitige Hochrüstung der USA und die militärische Dominanz der Nato für eine wesentliche Ursache für Terrorismus. Die Übermacht bewirkt auf der anderen Seite Ohnmacht. Ohnmacht kann zu Verzweiflung führen. Und Verzweiflung kann Terrorismus begünstigen.